Als Asperger-Autist im Pflegeberuf

In diesem Beitrag möchte ich ein bisschen von meiner Erfahrung berichten, wie es für mich war im Pflegeberuf zu arbeiten und vor welchen Herausforderungen ich Stande unter anderem mit meiner Diagnose.

Das FSJ

Ich hatte große Probleme meinen Platz im Arbeitsleben zu finden nach meinem Abschluss. ich habe die schule zuerst mit dem Hauptschulabschluss beendet und meine mittlere Reife später nachgeholt und habe mich schließlich für ein FSJ im Krankenhaus entschieden. Ich hatte damals auf mehreren Stationen hospitiert und habe mich schlussendlich für eine Kinder-Intensivstation entschieden. Ich habe mich dafür entschieden, da die Arbeit als FSJler dort hauptsächlich organisatorisches beinhaltete und der Kontakt mit Patienten vergleichsweise gering war. Die Hauptaufgabe an jedem Tag war es, die Ausstattung der Zimmer zu überprüfen und aufzufüllen und einwegmaterial auszutauschen.

Meine damaligen Kollegen beschrieben mich immer als eher ruhig und zurückhaltend aber auch als zuverlässig und ordentlich. Es war für mich eine unglaublich lehrreiche Zeit aber auch eine sehr herausfordernde. Ich erinnere mich wie schwer es anfangs war Kollegen und Patienten auch nur anzusprechen. Mehrmals bin ich an betreffenden Personen zuerst ein paarmal vorbeigelaufen, um die Situation zu überblicken und habe mir meinen Satz gedanklich zurechtgelegt, bis ich letztendlich die Person ansprach.

Auf der Station waren die Zimmer meistens geöffnet, weswegen ich oft einfach rein und rausgehen konnte, ohne anklopfen zu müssen. Es gab allerdings auch oft die Situation das Räume geschlossen waren, was für mich damals immer der Horror war. An eine Tür anzuklopfen, ohne zu wissen was darin gerade passiert ist für mich heute noch manchmal eine Überwindung. Oftmals habe ich die Zimmer übersprungen und auf einen Moment gewartet, indem sie offen waren oder eine Situation abgewartet, in der jemand rein oder raus ging. Situationen, in denen ich mit Patienten sprechen musste, habe ich oft so gut es ging gemieden.

Die oben genannten Situationen waren für mich aber auch super Gelegenheiten zu lernen und an meinen „Social-Skills“ zu arbeiten. Ich habe mir oft kleine Ziele gesetzt und auch gelernt mich für diese kleinen Schritte zu loben und mich so sehr weiterentwickelt.

Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass wenn es um solche Dinge ging, wie mit anderen in Kontakt treten, sie anzusprechen, Informationen an andere weitergeben oder nur „Smalltalk“, ich diese ach schnell verlernt habe während dem Wochenende oder dem Urlaub was sehr frustrierend war. Ich habe mich oft gefragt, wie das sein kann, das ich mir logische Zusammenhänge oder Informationen so gut merken kann aber mir das so schwerfällt.

Warum die Ausbildung

Ich habe mich schließlich für eine Ausbildung im selben Krankenhaus entschieden. Hauptgrund waren mein Interesse an der Medizin und zu einem Großteil auch der Umstand das ich jetzt schon ein Jahr dort arbeitete und ich keine Veränderung wollte und auch sonst keine andere Option im Blick hatte. Es war aus damaliger Sicht für mich der einfachste weg.

Waerend der Ausbildung

Während der Ausbildung war diese oft mein einziger Fokus. Ich musste oft meine gesamte Aufmerksamkeit darauf richten und viel Kraft und Zeit investieren. Die theoretischen Inhalte waren für mich nie ein großes Problem und ich habe schnell gemerkt das meine Mitschüler mehr Zeit brauchten, um sich auf Prüfungen vorzubereiten als ich. Ich fand den theoretischen Unterricht immer sehr interessant und hatte in der schule die meiste Zeit Spaß am Lernen. Der weit schwierigere teil war für mich die Praxis. Schnell habe ich gemerkt das die Theorie oft weit von der täglichen Praxis auf der Station entfernt ist. In allen Routinemäßigen arbeitsabläufen, die nach einem bestimmten Schema ablaufen war ich schnell sehr gut und konnte mir regelmäßige ablaufe super einprägen. Das große Problem war für mich immer der individuelle Umgang mit verschiedenen Patienten und verschiedene Kombinationen von Erkrankungen und deren Bedürfnisse. Alles, wofür es keine universelle Anleitung gab.

Es gibt in der Individuellen (pflegerischen) Versorgung oft nicht die eine richtige und die eine falsche Vorgehensweise. Das war für mich eine Riesen Herausforderung. Ich bin immer auf der Suche nach dem absolut richtigen weg gewesen und wollte mir keinen Fehler erlauben, vor allem in Situationen, in denen ich beobachtet wurde (z.B. Lehrer, Kollegen, Prüfer, Mitpatienten…). Das führte dazu das ich gedanklich jede Maßnahme vorher durchging und mögliche Konsequenzen abwägte, weil ich im Vorhinein einen Plan brauchte, ohne gedankliche Planung jedes einzelnen Schrittes konnte ich nicht gut arbeiten. Jedes mögliche Problem, welches auftreten könnte, musste ich vorher kennen und auch meine Antwort darauf musste geplant sein. Gleichzeitig musste ich jeder meiner Handgriffe kontrollieren und reflektieren und das Verhalten anderer anwesenden Personen interpretieren. Ich kann es gar nicht beschreiben was sich alles gleichzeitig in meinem Kopf abspielte während der Arbeit. Diese ständige Kopfarbeit führte oft dazu das ich andere Sachen übersah und auch oft wenig kommunizierte und dadurch Fehler machte, welche meine gedankenkreise nur verstärkten und mich frustrierten.

Ich hatte das Gefühl andere hatten kein Problem damit immer neue Patienten zu betreuen und ihr Wissen an die individuellen Bedürfnisse anzupassen, während ich selber jedes Mal bei einer neuen Person von vorne anfange. Die ständige Angst vor Veränderungen spielte dabei auch täglich eine Rolle.

Ich habe während der Ausbildung starke Ängste entwickelt und habe das erste Mal Panikattacken erlebt. Ich habe oft an meiner Eignung für den Beruf gezweifelt aber auch immer wieder Situationen gehabt, in denen ich Spaß an der Arbeit hatte. Ich habe mich oft zwingen müssen weiterzumachen und habe aber auch keine alternativen gesehen, da ich mich voll auf die Arbeit konzentrierte und mich damit identifizierte.

Während der gesamten Zeit war für mich das Thema „Asperger“ gar nicht präsent und ich habe so auch nie meine Probleme, die ich während dieser Zeit im Alltag hatte, darauf bezogen. Ich befasste mich erst wieder damit als ich meine erste praktische Examenspruefung (Abschlussprüfung) nicht bestand und dass mich wie auch Kollegen, Mitschüler und Freunde sehr überraschte. Ich hatte im letzten Drittel der Ausbildung im Praktischen und auch im schriftlichen teil gute Noten. Daraufhin legte ich Einspruch ein und bekam ein halbes Jahr später auch recht. Dennoch musste ich meine Ausbildung um 6 Monate verlängern, um die Prüfung zu wiederholen.

Während dieser 6 Monate habe ich immer auf derselben Station gearbeitet und ich habe mich auf dieser sehr wohl gefühlt. Ich habe ein Team an Kollegen kennengelernt, die ich heute noch vermisse und auch hin und wieder besuche:)

Die Arbeit aber viel mir zunehmend schwerer und ich hatte das Gefühl nie den Anforderungen meiner damaligen Anleiterin gerecht werden zu können. Meine Kollegen sagten mir oft das ich nach außen oft gestresst wirkte und meine Arbeit chaotisch, mein Ergebnis letztendlich war in den meisten Fällen jedoch gut. Von Patienten bekam ich oft positive Rückmeldungen und ich fühlte mich von ihnen gemocht. Ich bekam von meiner Station am Ende der 6 Monate die Note 1,2.

Meine Zweite Wiederholungsprüfung bestand ich trotzdem nicht. Ich habe sehr starke Ängste entwickelt vor Zwischenprüfungen und selbst vor Anleite Situationen. Ich habe während solchen Situationen starke Derealisation und Depersonalisation erlebt. Sobald von mir eine Antwort oder Reaktion gewollt war und es mehrere Lösungsansätze gab, habe ich mich selbst blockiert, da ich nicht die eine Lösung finden konnte. Ich war immer sehr damit beschäftigt mir vorzustellen, was welche Herangehensweise bei den anderen anwesenden Personen für Gedanken auslöst, also was sie dann von mir denken könnten. Mein Kopf war so voll mit rasenden Gedanken und Vorstellungen das ich keine Entscheidungen treffen konnte oder Antworten geben konnte, ich habe mich immer selbst blockiert. (damals waren Begriffe wie Overload, Shutdown oder Meltdown mir noch nicht bekannt)

Ich weiß noch, wie ich in solchen Situationen den starken drang hatte, einfach zu schreien, um mich zu schlagen und wegzurennen. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser immensen Unruhe umgehen soll, und interpretierte es dann oft als Angst.

Nach der Prüfung entschied ich mich dann es abzubrechen und mich neu zu orientieren.

Mein Fazit

Ich habe unfassbar viel in dieser Zeit gelernt und Menschen lieben gelernt, jedoch zu einem sehr hohen Preis. Ich bin Im Nachhinein stolz auf mich, wenn ich auf all die Situationen blicke, die ich gemeistert habe und sie motivieren mich auch heute oft weiterzumachen, wenn ich vor Problemen stehe. Ich vermisse die Arbeit im Team und die damit verbunden Kollegen und auch viele Routinemaesigen Aufgaben und die Geschichten der vielen verschiedenen Menschen. Ich habe aber viel Verpasstes nachholen müssen und Aufgestautes verarbeiten müssen nach dieser Zeit.

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